Eine noch nie dagewesene Lebenssituation hat uns alle ereilt, und wir befinden uns mitten in einem gewaltigen Umbruch. Ich möchte jetzt die Zeit nutzen und Euch endlich wieder etwas mehr teilnehmen lassen an meinem Reiterleben. Bitte entschuldigt, dass ich das so vernachlässigt habe – meine täglichen Aufgaben beanspruchen mich sehr, und jetzt kommt auch noch diese Krisensituation dazu, die unsere Familie – und unseren Lebensmittelpunkt Heinsberg – auf unterschiedliche Weise trifft.
Meine Eltern stehen genau wie viele andere vor großen beruflichen Herausforderungen. Die Verantwortung für mehrere hundert Mitarbeiter in einem Produktionsunternehmen zu tragen, ihren Familien und heranwachsenden Kindern auch für die Zukunft eine Perspektive zu gewährleisten, fordert momentan ihre ganze Kraft.
Ich selbst bin mir bewusst, wie privilegiert ich bin gegenüber Menschen, die sich jetzt fast nur in ihrer Wohnung aufhalten können. Ich darf täglich zum Stall fahren, um mich um unsere Pferde zu kümmern, denn der Tierschutz verpflichtet uns, die Pferde auch in Krisenzeiten zu bewegen und zu versorgen.

Privileg oder nicht; natürlich gelten auch im Stall Kontaktsperre-Maßnahmen. Sie werden von allen sehr ernst genommen und eingehalten. Wir sind morgens von ca. 8 bis 13 Uhr im Stall. Ich stehe mit meinen Pferden in einem separaten Stalltrakt und habe somit keinen direkten Kontakt zu anderen. Wir sind zwei bis drei Personen, die morgens reiten und sich bei schönem Wetter sogar getrennt auf Halle und Außenplatz verteilen. Ein Plan im Stall sieht vor, dass nicht zu viele Personen gleichzeitig da sind – da hilft es natürlich, auf einer so kleinen, privaten Anlage zu stehen, deren Besitzerin selbst viele Pferde hat. Ariana, unsere geschätzte Pflegerin, wechselt sich mit meiner Mama dabei ab, mir zu helfen.

Die Pferde merken spürbar auch, dass irgendetwas anders ist. Sie sind extrem entspannt, gleichzeitig hoch konzentriert und aufmerksam. Alle sind in Höchstform, auch der Nachwuchs 🙂
Zegna macht zwar noch einige Faxen, aber er benimmt sich manchmal schon wie ein Großer. Er schaut sich viel von den anderen ab und macht es dann auch so. Es hat viel Training gekostet, bis er aufgehört hat, aus der
Box zu stürmen oder aus dem Putzraum. Mittlerweile wartet er geduldig ab und bleibt brav unter dem Solarium stehen. Natürlich mit Bestechung, Leckerlis etc. 🙂

Er ist ein echter Freund geworden; wird von Tag zu Tag ausbalancierter, obwohl er recht ulkig ausschaut, weil er zur Zeit so überbaut ist und dadurch auch wieder etwas schmaler geworden ist. Unsere Valegra, mittlerweile Sieben, ist unsere größte Überraschung! Wir haben lange gebraucht, um uns zu finden. Als Fohlen von uns
entdeckt, entwickelte sie sich zunächst prächtig. Im Sommer 2014, da war sie anderthalb Jahre alt, wurde sie mit einem Messer attackiert von einer psychisch kranken Frau, die auf unserer Wiese zu Hause einige Pferde verletzte. Lange haben wir gebangt, dass sie irreparable Schäden davontragen würde, denn die Wunden waren enorm.

Doch es ist kaum noch sichtbar, und sie ist eine starke, robuste Stute geworden. Als ich damals im Abiturjahr war und in meiner Junge-Reiter-Zeit, beschlossen wir, sie in Beritt zu geben. Dadurch hatte ich eigentlich gar keine
wirkliche Bindung zu ihr. Die nächste Überlegung war, sie abzugeben, denn wir hatten den Eindruck, dass sie nicht zu uns passt. Ich weiß nicht wie ich es erklären soll, aber egal, wohin wir sie geben wollten, sie kam immer wieder zurück und hat sich ihren Platz in unserer Familie erkämpft.

Inzwischen glaube ich, sie ist einfach eine Spätzünderin, denn seit letztem Jahr macht dieses Pferd einfach alles mit. Sie ist die fleißigste von allen, absolut ehrlich, liebevoll, und sie hat so viel Power! Dabei ist sie so anmutig und zu einem wunderschönem Sportpferd herangewachsen. Ich dachte immer, sie wäre zu klein für mich, aber auch sie ist im letzten Jahr noch gewachsen.
Ich freue mich schon darauf, mit ihr zum Turnier zu fahren. Zu Spezi und Leo kann ich sagen: „Dicke Kumpels wie immer“. Ich stelle mir vor, dass wir, wenn sie Menschen wären, eine WG hätten und abends gemeinsam auf der Couch gammeln würden mit Chips und Bier 🙂
Unser gemeinsamer Lebensweg geht schon eine Weile. Spezi und ich sind seit zehn Jahren zusammen, Leo und ich seit sieben Jahren. Leo, der Tollpatsch, und Spezi, der „Hibbelsfott“, wie man hier im Rheinland so sagt. Ich glaube, trennen geht nicht mehr, die gibt es nur im Doppelpack. Aber auch Valegra nimmt Leo für sich in Anspruch, die beiden haben ein „Techtelmechtel“. Dafür spielen Zegna und Spezi regelmäßig Fußball miteinander. Zegna hat einen Ball, doch den hole ich mehrmals wöchentlich aus Spezis Box 🙂

Valegra hat einen Spitznamen. Sie wird die Wechselqueen genannt. Sie lernt die Einerwechsel mit einer Leichtigkeit, dass wir sie bremsen
müssen weil sie erst sieben ist. Pferden Wechsel beizubringen, finde ich total spannend, und ich habe es inzwischen auch schon einigen
Berittpferden beigebracht.
Um so mehr ist es wirklich ein Phänomen, dass Spezi und ich immer noch Fehler machen in der Prüfung, obwohl er sie aus dem FF kann. Man kann 25 Stück hintereinander reiten, egal welche krummen Linien, doch in der Prüfung tun wir uns immer wieder schwer. Aber wie heißt es so schön: Gut Ding will Weile haben.

Auch privat ist bei uns einiges los gewesen. Ich bin in der dritten Novemberwoche zu Hause ausgezogen und wohne (lol) jetzt genau einen
Kilometer von meinen Eltern entfernt. Ich führe jetzt zusammen mit meinem langjährigen Freund einen Haushalt. Es ist schon eine Umstellung, aber es gefällt mir gut. Währenddessen habe ich mein Studium beendet, schreibe an meiner Bachelor-Arbeit und hoffe, dass ich im September mit einem Masterstudiengang beginnen kann.
Durch den Reitsport sehe ich meine Familie trotzdem fast täglich und die Hunde auch. Ich habe keinen mitgenommen, denn sie genießen zu Hause den freien Auslauf, und das wollte ich ihnen nicht nehmen. Fit halte ich mich noch immer mit Inlineskaten, und im Moment tanze ich
zuhause, statt ins Studio zu gehen. Leider vermisse ich meine Omi zur Zeit sehr. Meine Großeltern gehören zur Risikogruppe bzw zu den am meisten Gefährdeten. Außerdem wohnen sie in den Niederlanden … und plötzlich gibt es in Europa wieder Grenzen 🙁
Wir telefonieren, und ich schicke ihnen Fotos und Videobotschaften.

Jetzt habe ich glatt mal für eine Stunde die Corona-Krise vergessen und hoffe, ich konnte Euch auch ein bisschen zum Lächeln bringen.
Für alle, die es sehr schwer haben und vielleicht sogar einen lieben Menschen verloren haben: Ich fühle mit Euch! Ich hoffe sehr, dass diese
Krise auch langfristig zu Veränderungen in unserem Gesundheitssystem führen wird. Krankenhäuser dürfen nicht profitorientiert arbeiten und
von Sparmaßnahmen gelähmt werden!
Bleibt zu Hause, lasst Euch nicht von Verschwörungstheorien aufhetzen.
Beschützt Eure Liebsten, und haltet Euch bitte an die Maßnahmen.

Es gibt eine Zeit danach. Ganz bestimmt.
Fühlt euch herzlichst gedrückt!

Jessica

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